Qualifikation und Beteiligung: Das Peiner Modell

Beteiligte Mitarbeiter
Fricke, Else
Fricke, Werner
Schönwälder, Manfred
Stiegler, Barbara
Horns, Hartwig
Institutioneller Anbindung
Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung
Gefördert durch
Teil des seit 1974 laufenden, gemeinsam mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durchgeführten Aktionsprogramms "Humanisierung des Arbeitslebens"; Förderung durch das Ministerium für Forschung und Technologie.
Studienlaufzeit
Startphase 1974/75 - März 1980
URL zur Studie
Kurzbeschreibung

Es wurden drei Ziele verfolgt (S. 17): '1.) Die sozialen Bedingungen und Voraussetzungen ermitteln, die zur Vermittlung, Anwendung und Entfaltung innovatorischer Qualifikationen erforderlich sind; zugleich sollte der Prozeß der Vermittlung und Anwendung innovatorischer Qualifikationen Aufschluss darüber geben, worin diese Qualifikationen bestehen und was sie zu leisten vermögen. 2.) Ansätze für die Organisation von Beteiligungsprozessen entwickeln und erproben, die übertragbar sind und den Arbeitenden in jeder beliebigen Arbeitssituation den Handlungsrahmen schaffen, gemeinsam mit ihren betrieblichen Interessenvertretern an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen nach ihren Interessen mitzuwirken (Beteiligungsverfahren). 3.) In Zusammenarbeit mit den Arbeitern der Anschneiderei und nach ihren Interessen Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in ihrer Abteilung ausarbeiten und - nach erfolgter Zustimmung durch Betriebsrat und Unternehmensleitung - durchsetzen'. Diese Ziele erfordern einen Aktionsforschungsansatz (S. 18).

Ziel

'Die Arbeit im Peiner Humanisierungsprojekt lässt sich unter drei verschiedenen Zielrichtungen beschreiben: Sie dient zum einen der Erweiterung und Vertiefung industriesoziologischer Erkenntnisse. Zum anderen werden durch den Forschungsprozeß übertragbare Strategien zur Beteiligung der Arbeitenden an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen entwickelt. Nicht zuletzt dient sie aber auch der Verbesserung der konkreten Arbeitsbedingungen der Arbeitenden im Betrieb. Die Problemstellung in diesem Forschungsprojekt unterscheidet sich damit von der anderer Humanisierungsprojekte. Wir wollen nicht ein bestimmtes arbeitsorganisatorisches oder technisches Modell in einem Betrieb erproben und auf seine Effektivität für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen hin untersuchen, wir wollen vielmehr erforschen, in welcher Weise die Beteiligung der Arbeitenden an der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen geplant, durchgesetzt und zum Erfolg geführt werden kann' (S. 28f). Erkenntnisinteresse ist nicht nur wissenschaftlich, sondern auch 'gesellschaftlich-praktisch' (S.30). Nach eigenen Angaben des Autors: - Erweiterung institutioneller Formen der Mitbestimmung durch offene demokratische Beteiligungsprozesse; - Betriebsnahe, problembezogene, interessenpolitische Weiterbildung, angeregt von dem Konzept Matthöfers in der IG Metall in den 1960er Jahren - Industrielle Demokratie in betrieblichen Strukturen herstellen (Aktionsforschung, demokratische Beteiligung).

Theoriebezug
Entstehungszusammenhang des Projekts: 'aktuelle Tendenzen des technisch-organisatorischen und des gesellschaftlichen Wandels' (S. 20). Theoretische Bezugnahme vor allem zum Thema 'Aktionsforschung', also zum 'Modell der Handlungsforschung' (z.B. Haag et al. 1972, Kramer 1977, Moser 1975). Ansonsten Hinweise auf Veröffentlichungen im Bereich Qualifikation und Kompetenzentwicklung (z.B. Mendius et al. 1976, Brock/Möller/Negt 1978, Siebert 1979), oder zu gewerkschaftlicher Bildungsarbeit (Brammerts 1976).
Geografischer Bezug
Deutschland
Erhebungszeitraum
Oktober 1975-Juli 1979
Informationen zur Datenerhebung
I.) Dokumentation der Rahmenbedingungen: 1.) "Die außerbetrieblichen Rahmenbedingungen haben wir durch Expertengespräche, durch die Analyse von statistischen Daten, durch das Studium von Tarifverträgen, Gesetzen, Normen und Verordnungen sowie durch die Auswertung sonstiger öffentlich zugänglicher Unterlagen und Dokumente (z.B. Arbeitsämtern, kommunalen Verwaltungen) erhoben" (S. 38); 2.) "Die betrieblichen Rahmenbedingungen haben wir durch die Analyse betrieblicher Unterlagen (Kostenrechnungen, Investitionspläne, Statistiken aller Art, Betriebsvereinbarungen etc.), durch Expertengespräche sowie durch begleitende Beobachtung erhoben. (...) Neben diesen Erhebungen, die wir selbst durchführten, haben wir Analysen durch Experten angeregt und ausgewertet (Kostenstrukturanalyse, werksärztliche Untersuchungen)" (S. 38); II.) Methoden der Prozeßorganisation: Arbeitsgruppen und Wochenseminare mit Gruppendiskussion; Einzelgespräche, direkte Befragung einzelner Personen, Expertengespräche in Form freier Exploration und Kontaktgespräche; Situationsanalyse (S. 38f).
Fallzahlen
1 Betrieb, daraus mehrere Fallstudien
Falldarstellung
Der Betrieb, die Rahmenbedingungen, die Beschäftigtensituation, etc., werden auf den Seiten 46-82 vorgestellt. Der Projektverlauf gliedert sich in sieben Phasen, die in einem eigenen Kapitel erst in tabellarischer, dann transparent und in ausführlicher Form präsentiert werden (S. 84-163). Exemplarisch wird in der Publikation eine Fallstudie dargestellt, nämlich zu "Akkordbedingungen und Akkordverhalten in der Anschneiderei". Die Fallstudie schildert (ab S. 302ff.) die Ausgangssituation und Erfahrungen der Arbeiter, Vorschläge und Handlungsentwürfe zur Wahrnehmung vorhandener Rechte, Ansätze und Vorstellungen zu einem Zeitlohn, bei dem die Leistungsfestsetzung der Mitbestimmung unterliegt. Was sonst als Fall definiert wird, bleibt offen. Insgesamt sind in dem einen Betrieb mehrere Fallstudien das Ergebnis (von denen eben eine explizit dargestellt wird). Im Anhang werden u.a. die Firmenkontakte aufgelistet, sowie das Abschlussgutachten des Projektbegleiters, daneben auch Stellungnahmen von betrieblicher Seite zu den Projektergebnissen.
Selbstdefinition
Der Begriff "Fallstudie" (S. 42) wird verwendet, allerdings wird nicht näher darauf eingegangen. Das Projekt wird vor allem als "Prozeß" beschrieben.
Auswahl
Metallindustrie: Peiner Maschinen- und Schraubenwerke AG. Daraus in Werk I die Abteilung Zerspannung (Z II) (mit 47 Beschäftigten). Der Betrieb und die dortigen Bedingungen werden detailliert in einem eigenen Kapitel auf ca. 40 Seiten dargestellt (S. 46ff).
Überblick Methoden
Grundsätzlich Orientierung am 'Modell der Handlungsforschung' (S. 30): 'Sozialwissenschaftliche Forschungsarbeit wird in diesem Modell als Handeln in der Wirklichkeit, als gesellschaftliche Praxis definiert. Ziel der Handlungsforschung ist es, 'mit Menschen in alltäglicher Praxis in gemeinsamen Arbeits- und Lernverhältnissen zu arbeiten und darüber zu kommunizieren, um in diesen gemeinsamen Arbeits-, Lern- und Selbstreflexionsprozessen zum Abbau von Herrschaft beizutragen'' (S. 30). Nach Aussagen der Autoren sind Wissenschaftler besonders in derartiger Forschung zu methodologischer Reflexion gezwungen, '(...) weil der Handlungsforschungsansatz von Sozialwissenschaftlern, die in einer positivistischen Tradition stehen, als unwissenschaftlich gehalten wird' (S. 36). Daher erfolgt ausführliche Reflexion, z.B. über Bedingungen und Probleme des Forschungsprozesses (S. 46ff.), über die Methodenwahl ('Die Kriterien, nach denen die Entscheidung über die Methoden getroffen wird, liegen fest: es ist die Übereinstimmung von Forschungsziel und Forschungsmethode sowie die Transparenz, die sie für alle am Forschungsprozeß Beteiligten besitzen müssen', S. 37), die Rolle des Wissenschaftlers (S. 33).
Auswertung
Zur Dokumentation des Prozesses wurden verschiedene Arten der Protokollierung verwendet: öffentliches Protokoll, Ergebnisprotokoll, Verlaufsprotokoll (S. 40). "Die systematische Auswertung aller Dokumentationsmaterialien erfolgt zum Abschluss des Projekts nach einem inhaltsanalytischen Verfahren, das zur Untersuchung einzelner Fragestellungen und zur Erstellung von Fallstudien die Fülle der Protokolldaten ordnet" (S. 42).
Ergebnisse
U.a. Analyse der Arbeitssituation und Vorschlagsliste mit Veränderungen (S. 106ff.); Ergebnisse zur Erprobung der Beteiligungsformen (S. 122ff.), sowie zur Entwicklung und Anwendung innovatorischer Qualifikation (S. 217ff.). Zusammenfassung der Ergebnisse und Reflexion über die Übertragungsmöglichkeiten des Beteiligungsverfahrens in Kap. 8 (S. 366-401). Fazit: "Die Weiterentwicklung des Beteiligungsverfahrens muss in der betrieblichen Praxis geschehen, und nicht am grünen Tisch. Für diese Aufgabe hat der Peiner Modellversuch einige Verfahrensweisen entwickelt und erprobt, die bei seiner Weiterentwicklung und Verbreitung nützlich sein werden: Das Konzept handlungsorientierter, beteiligungsorientierter und interessengeleiteter Weiterbildung; die Projektgruppen als Orte der Entwicklung und Anwendung innovatorischer Qualifikationen, die systematische Kooperation zwischen Belegschaften und ihren Interessenvertretern bei der Gestaltung betrieblicher Arbeitsbedingungen" (S. 396).

Datensätze / Materialien

Relevante Publikationen

  • Fricke, Else (1981): Qualifikation und Beteiligung: 'Das Peiner Modell'.
    Frankfurt: Campus