Die Wirklichkeit der Teleheimarbeit

Projektleitung
Kleemann, Frank
Institutioneller Anbindung
TU Chemnitz
Gefördert durch
"materiell gefördert durch die Landesgraduiertenförderung des Freistaates Sachsen"; "ideell" gefördert im Rahmen des HBS-Promotionskollegs "Optionen digitaler interaktiver Medien in der Informationsgesellschaft"
URL zur Studie
Kurzbeschreibung

Die Studie basiert zunächst auf der These, dass Teleheimarbeit ein stärker ergebnisorientiertes und eigenständiges Arbeiten als eine Bürotätigkeit im Betrieb fördert und erfordert (S. 47). Das wirft die folgende Frage auf: 'Welche sozialisatorisch erworbenen Handlungskompetenzen und Motivations- bzw. Relevanzstrukturen sind Bedingung für die erfolgreiche Bewältigung dieser Anforderung der Selbstorganisation und Eigenständigkeit?' (S. 48). Zum anderen besteht die Annahme, dass die Individuen durch Tele(heim)arbeit in höherem Maße als bisher gezwungen sind, Erwerbsarbeit und Privatleben zu strukturieren und zu organisieren. Hieraus ergeben sich zwei weitere zentrale Fragen der Studie: 1.) 'Wie gestalten die Arbeitenden auf der Grundlage von relativ großen zeitlichen und inhaltlichen Freiheitsgraden zur 'Selbstorganisation' die Arbeitsausführung und welche Handlungsvoraussetzungen müssen dazu erfüllt sein?' 2.) 'Welche (unterschiedlichen) Formen der 'Aneignung' von Teleheimarbeit durch die Arbeitenden - im Sinne einer Einbettung der Arbeit in den Gesamtalltag der Person - gibt es? (Oder anders formuliert: welchen Stellenwert hat Teleheimarbeit für den gesamten Lebenszusammenhang des Individuums, also für 'Arbeit und Leben'?)' (S. 48 und die folgenden detaillierter). Um diese Fragen zu beantworten ist eine 'Praxis-Perspektive auf subjektive Leistungen' nötig, die der Autor mittels dem Begriff der 'personalen Aneignung' konzipiert (S. 49ff.).

Ziel

Die Studie folgt einem explorativen Anspruch und soll das wenig erforschte Gebiet der Tele(heim)arbeit auszuleuchten: 'Die vorliegende Arbeit fragt aus arbeitssoziologischer Perspektive, welche typischen Formen von Teleheimarbeit es überhaupt gibt und wie sich in diesen die Qualität der Erwerbsarbeit selbst und das Verhältnis von Arbeit und Leben gegenüber "normaler" Büroarbeit verändern. Auf dieser Grundlage werden Rückschlüsse über allgemeine Wandlungstendenzen der Arbeitswelt möglich' (S. 11).

Theoriebezug
In Kapitel 2 (S. 25-60) wird in den Stand der Forschung und die eigenen Fragestellungen eingeführt. Die Studie versteht Tele(heim)arbeit als eine Ausprägung neuer post-tayloristischer Arbeitsformen, daher werden einschlägige aktuelle Debatten aufbereitet ('Wandel der Erwerbsarbeit', 'Alltägliche Lebensführung'). Teleheimarbeit wird in einer subjektorientierten soziologischen Forschungsperspektive als '(...) eine Leistung von Personen betrachtet, die in praktischer Auseinandersetzung mit den betrieblichen Bedingungen hervorgebracht wird' (S. 45).
Geografischer Bezug
Deutschland
Erhebungszeitraum
1996-1998 (S. 67f.)
Informationen zur Datenerhebung
Als zentrale Datenart wählt der Autor leitfadenorientierte Interviews. Die Erhebung erfolgte in 3 Phasen (S. 67f.), insgesamt wurden 36 Interviews geführt (davon 34 ausgewertet).
Fallzahlen
34 Fälle = 34 Personen
Falldarstellung
Die Form der Ergebnisdarstellung wird in Kapitel 3.3 (S. 87ff.) abgewogen und letztlich die Entscheidung getroffen, die für den qualitativen Forschungsprozess grundlegende "Logik der Entdeckung" in der Ergebnispräsentation nicht zu replizieren: "Ziel ist also nicht eine ("kriminalistische") sukzessive Herleitung von Ergebnissen auf der Grundlage von Rohmaterialien (Interviewtexten) oder Zwischenauswertungen (Falldossiers), sondern eine Präsentation der nach Beendigung des Auswertungsprozesses generalisierbaren Ergebnisse über unterschiedliche Formen der Teleheimarbeit, die unter Rekurs auf die empirischen Materialien und theoretisches Wissen argumentativ plausibilisiert und zum Teil durch ergänzende Fallbeispiele illustriert (und dadurch für die LeserInnen konkretisiert) werden (S. 89). Die einzelnen Fälle (die Grundformen der Teleheimarbeit) werden in der Darstellung formal einheitlich aufgebaut (S. 91f.).
Selbstdefinition
Der Autor bezeichnet sein Vorgehen als "Fallanalysen" (S. 80)
Auswahl
Die Fallauswahl erfolgte theoriegeleitet und versuchte den Ansprüchen der "minimalen" und "maximalen" Kontrastierung zu entsprechen.
Überblick Methoden
Es gibt ein sehr ausführliches Methodenkapitel (Kap. 3, S. 61-92), welches die Anlage und Durchführung der Untersuchung darstellt. Es wird sich dabei an das in der qualitativen Methodologie übliche Postulat der 'Gegenstandsangemessenheit' angelehnt (unter Verweis z.B. auf Glaser/Strauss 1967, Kelle 1994, Kelle/Kluge 1999). Ziel des Kapitels ist eine 'Beschreibung des gewählten Erhebungs- und Auswertungsverfahrens 'in pragmatischer Absicht', also eine möglichst weitgehende Offenlegung des tatsächlichen Vorgehens einschließlich einer kritischen Abwägung der Vor- und Nachteile des eigenen Forschungsdesigns' (S. 61). Dazu wird die Fallauswahl und deren Auswertung detailliert beschrieben, sowie der zweistufige Fallvergleich (S. 62ff.). Auch die Wahl der Instrumente wird begründet (S. 68ff.) und das forschungspraktische Vorgehen (z.B. Interviewführung) breit dargestellt. Erhebung und Auswertung werden in einzelnen abschließenden Kapiteln kritisch reflektiert.
Auswertung
Die Auswertung sollte mittels eines offenen Vorgehens erfolgen, d.h. "(...) dass die Interviewdaten so unvoreingenommen wie möglich nach einem formalen methodologischen Verfahren ausgewertet werden, um auf dieser Grundlage zu empirisch begründeten allgemeinen Aussagen zu gelangen (...)" (S. 23). Die zirkuläre Auswertung folgte Annahmen der grounded theory und versuchte Praxen und Sinndeutungen zu rekonstruieren (S. 78ff.). Dazu war eine sequenzanalytische Herangehensweise erforderlich (siehe z.B. Bohnsack 1999, Oevermann u.a. 1979, Schütze 1987). Der gesamte Auswertungsprozess ist sehr transparent dargelegt: Einzelfälle wurden transkribiert bzw. teiltranskribiert, eine Interaktionskontrolle und formale Sprachkontrolle wurde durchgeführt sowie eine thematische Sequenzierung und Codierung. Anschließend wurde eine formulierende und reflektierende Interpretation angelegt und ein fallimmanenter dimensionaler Vergleich sowie thematisch strukturierte Fallbeschreibungen durchgeführt (siehe S. 79-86).
Ergebnisse
Als zentrales Ergebnis ist festzuhalten, dass es nicht sinnvoll ist, von "der" Teleheimarbeit zu sprechen: "Vielmehr sind in Abhängigkeit von den Lebenslagen und Motiven der Arbeitenden, den Arbeitsaufgaben, den betrieblichen Interessen und Einbettungen und dem arbeitsrechtlichen Status vier Grundformen von Teleheimarbeit zu unterscheiden, die ihrerseits zum Teil divergente Unterformen aufweisen" (S. 24). Die vier Grundformen von Teleheimarbeit werden in einzelnen Kapiteln (4-7) präsentiert und in Kapitel 8 (S. 275ff.) zusammenfassend diskutiert. Kapitel 9 befasst sich mit Arbeits- und Alltagspraktiken der Tele(heim)arbeit und Kapitel 10 (S. 334ff.) interpretiert den Gegenstand der Tele(heim)arbeit als spezifische Ausdrucksgestalt postfordistischer Arbeits- und Lebensverhältnisse.

Datensätze / Materialien

Relevante Publikationen

  • Kleemann, Frank (2005): Die Wirklichkeit der Teleheimarbeit.
    Berlin: Edition Sigma